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Macht hoch die Tür, die Tor macht weit

Ruderting, den 10. 12. 2018

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit PNP-Bericht vom 10.12.2018

Hinter den Gittern der JVA Passau sorgt der Gospelchor Lichtstrom für Weihnachtsstimmung

 

Julia Kanning. Mitten in Passau, in der Theresienstraße, herrscht an diesem Samstagsvormittag Weihnachtstrubel. In den Schaufenstern hängen Lichterketten und Lametta, mit Tüten beladene Passanten eilen vorbei und eine kleine Blaskapelle untermalt die Szene mit weihnachtlichen Klängen. Ihre Melodien reichen bis zum festlich dekorierten Café, sind noch bei der gut besuchten Boutique zu hören und prallen ab an der Fassade eines großen Gebäudes mit vergitterten Fenstern. Es ist die Justizvollzugsanstalt Passau, dessen Insassen kaum etwas mitbekommen von der Vorweihnachtsstimmung draußen.

Draußen und drinnen – das sind zwei Welten, besonders zur Weihnachtszeit. Draußen: Festschmuck, Familienzeit und Freude. Drinnen, in der JVA, erinnert nur ein einsamer Weihnachtsbaum hinter dem Gittertor zum Innenhof daran, dass Heiligabend naht. In der Adventszeit will sich auch das Gefängnis nicht ganz verschließen – und ein Stückchen Weihnachten hereinlassen. So wie an diesem Samstagsvormittag, an dem der Gospelchor „Lichtstrom“ aus Ruderting in der JVA ein Adventskonzert für die Häftlinge gibt. Zustande gekommen ist der Kontakt zwischen Chor und Gefängnis vor acht Jahren über Oberinspektor und Leiter des allgemeinen Vollzugsdiensts Heinrich Hödl, dessen Ehefrau aktives Chormitglied ist.

 

Um 9.30 Uhr kommen die Gefangenen zum Konzert

 

Nach 2010, 2013 und 2016 ist es das vierte Mal, dass die Sänger und Sängerinnen des Gospelchors ihrem Namen alle Ehre machen und Licht in den grauen Gefängnisalltag strömen lassen. Der Chor tritt in der Anstaltskirche auf, zu der zwei enge Wendeltreppen hinauf führen. Die Kirche besteht aus einem einzigen Raum, in der Ecke steht auch hier ein Christbaum, an den Wänden hängen die Leidensgeschichte Jesu in Bildern, ein großes Holzkreuz und eine kleine Tafel. „Alles wird gut“ hat irgendjemand mit Kreide darauf geschrieben.

Kurz vor Beginn des Konzerts, um 9.30 Uhr, führt Heinrich Hödl die Häftlinge herein. Es sind 34 Männer – fast die Hälfte der derzeit 78 Insassen – die ohne Handschellen in einheitlichen olivfarbenen Hosen und grauen Pullovern durch die Tür treten und sich auf den Holzstühlen niederlassen. Ein Aushang im Gefängnis hat sie zu dem Konzertbesuch eingeladen, die Teilnahme ist freiwillig. Umso mehr freut sich Hödl über die gute Besucherzahl und erklärt: „Ich musste die Gefangenen zwar gerade noch aus den Betten scheuchen, weiß aber, dass sie dieses Angebot sehr schätzen, denn es sorgt für Abwechslung in ihrem Alltag. Danach sehnen sich hier alle.“

 

Eine Stunde Weihnachten

 

Das weiß auch die Leiterin des Chors, Barbara Schreiner, die die Sänger am Piano begleitet und den Gefangenen in einer kurzen Eröffnungsrede wünscht, „dass der Chor Lichtstrom heute allen Konzertbesuchern ein wenig Freude bereiten kann“.

Es ist ein bunter musikalischer Mix, den der Chor präsentiert. Es sind Sololieder dabei (vorgetragen von Barbara Schreiner und Johannes Schräder) und Stücke für Violine, die Thomas Plewinger spielt. Neben vielen klassischen Gospelstücken wie „Amazing Grace“, „This little light of mine“ oder „Virgin Mary“ tragen die Mitglieder vor allem internationale Lieder aus aller Welt vor. Die Stücke aus Südafrika, Polen, Italien oder Namibia passen besonders gut in die JVA Passau, denn laut Hödl stammen rund 70 Prozent der Insassen aus dem Ausland.

Egal aus welchem Land sie kommen und welche Geschichte sie mitbringen, in der Anstaltskirche sitzen die Gefangenen heute fast schon einträchtig nebeneinander. Einige halten die Arme verschränkt und schauen betont unbeteiligt auf den Boden. Andere sitzen gebeugt da und reiben sich von Zeit zu Zeit über die Augen, um die Müdigkeit zu beseitigen oder vielleicht doch die Emotionen. Und wieder andere beobachten konzentriert den Chor, klatschen nach jedem Lied laut in die Hände und rufen einige Male sogar „Bravo!“ in den Raum.

Schnell wird deutlich, dass vor allem bekannte Weihnachtslieder die Stimmung auflockern: „Santa Claus is Coming to town“, „We wish you a merry christmas“, „Jingle Bells“. Diese flotten, fröhlichen Songs zaubern nicht nur den Sängern ein breites Lächeln aufs Gesicht, auch die Gefangenen klatschen im Rhythmus, singen strophenweise sogar mit und schunkeln ein wenig im Takt. Für einen kurzen Moment wirkt die Welt hier drinnen warm und hell, und die Welt da draußen, von der durch die vergitterten Scheiben nur bewölkter Himmel zu sehen ist, kalt und grau.

 

Ein Häftling tritt vor und bedankt sich

 

Als die letzten Töne des Abschlussliedes verklingen, bedankt sich nicht nur Heinrich Hödl im Namen der Anstaltsleitung bei dem Chor, sondern auch ein Häftling. Der ältere Mann mit den grauen Haaren tritt ein wenig nach vorn, knetet nervös seine Hände und dankt für das schöne Konzert. Man merkt ihm an, dass er seine Worte bewusst wählt und sie aus voller Überzeugung sagt. Chorleiterin Barbara Schreiner freut diese Geste besonders: „Vor unserem allerersten Auftritt im Gefängnis war mir schon etwas flau im Magen, schließlich weiß man nicht, wer einem da gegenüber sitzt. Mittlerweile weiß ich aber, es sind Menschen, die sich wirklich über unser Konzert freuen. Es ist ein tolles Gefühl, ihnen die Vorweihnachtszeit so etwas angenehmer gestalten zu können.“

Das Konzert ist vorbei, die Lichtstrom-Chormitglieder packen ihre Notenblätter zusammen, die Häftlinge gehen langsam aus der Kirche heraus, die Treppen hinab und zurück in ihren Alltag. Hinter ihnen liegt eine Stunde Adventskonzert. Eine Stunde voller Lieder, Klavier- und Geigenmusik, Wärme und Licht. Eine Stunde Weihnachten.

  • Der Gospelchor Lichtstrom aus Ruderting ist noch auf der Suche nach neuen Mitgliedern, insbesondere männlichen Chorsängern. Interessierte können gerne an einer der Proben teilnehmen: immer montags ab 20.15 Uhr im Musikraum der Grundschule Ruderting, außer in den Schulferien.

 

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